Zeit der Ruhe
Viele Menschen mögen den November nicht. Sie klagen über die dunklen Tage, Nebel und Regen. Wenn ich sehe wie viele mit mürrischem Gesicht herumlaufen und sich vor dem Schaufenster des Reisebüros drängen, kann ich nur den Kopf schütteln. Grade der November ist einer der schönsten Monate im Jahr. Die Welt wird langsam Still und kommt zur Ruhe. Für mich war es bisher kein gutes Jahr. Der Tot meines Vaters mit den dazu gehörigen Erbangelegenheiten, und die immer neuen Sorgen um die Gesundheit meiner Frau. So langsam wendet sich aber alles zum Besseren. Mein Elternhaus ist verkauft, das Erbe verteilt und meine Frau wird aufgrund der speziellen Pflege auch wieder kräftiger. So ist es schon abzusehen, das sie Anfang nächsten Jahres ihren neuen Defi bekommen kann. Also kann ich endlich wieder durchatmen.
Wie immer wenn ich zur Ruhe kommen will, setze ich mich auf meine Bank am Ende meines Grundstücks. Wegen der zur Zeit nicht so angenehmen Witterung habe ich einen großen Becher mit Teepunsch dabei. Schon der erste Schluck wärmt und belebt die Sinne. Die Ernte ist eingebracht. Alles habe ich eingeweckt und verarbeitet. Der Winter kann kommen. Über mir sehe ich einen Schwarm Gänse nach Süden Ziehen. Es sind Ringelgänse, die zu ihren Überwinterungsplätzen ziehen. Mein Igelhaus ist auch schon wie jedes Jahr bezogen. Er ist zwar noch nicht im Winterschlaf aber er schläft nachts schon gerne wo es schön warm ist.
Letzte Woche hatte ich den Notar Termin in Oldenburg. Anschließend habe ich noch einmal das kleine Dorf besucht, in dem ich aufgewachsen bin. Es hat sich schon sehr verändert. Überall wurde neu gebaut. Ales Ändert sich mit den Jahren, so das ich befürchte, das ich langsam auch nicht mehr der bin, der ich mal war. Wahrhaben will ich es nicht aber ich glaube es wird nicht viel nützen. Das Haus in dem ich aufgewachsen bin, ist hinter zwei Neubauten verschwunden. Das kleine Haus auf dem Hügel, mit der langen Auffahrt und den vielen Obstbäumen. Dort konnten wir als Kinder wunderbar rodeln. Es hatte allerdings auch den Nachteil, das, wenn viel Schnee lag, wir die Straße nur schwer erreichen konnten. An ein Weihnachten erinnere ich mich noch genau. Mein Vater hatte auswärts gearbeitet und wollte einen Tag vor Heilig Abend nach Hause kommen. Es lag hoch Schnee. So viel, das ich es als Kind nicht geschafft habe die Auffahrt (ca. 300 Meter) freizuräumen. Wir warteten aber mein Vater kam nicht. Telefon hatte damals noch niemand im Dorf. Wir wurden langsam unruhig. Am Abend nahm der Wind zu und es begann wieder heftig zu schneien. Ein Tag vor heilig Abend, die Weihnachtsgans lebte noch und kein Weihnachtsbaum da. Es nützte alles nichts. Es mußte jemand die Gans schlachten und einen Weihnachtsbaum Schlagen. Meine Mutter konnte kein Blut sehen. Nun war ich der Älteste und es blieb natürlich an mir hängen. Gesehen hatte ich es schon oft genug. Also ging ich in den Stall, griff die Gans, nahm das Beil und ging zum Hauklotz. Die Gans ahnte nichts gutes und wurde unruhig. Sie sah mich an und ich hatte plötzlich einen Klos im Hals. Sie tat mir leid aber es mußte sein. Wenn sie mich nur nicht so ansah. Ihre Augen schrien mich an. Mörder. Also nahm ich mein Taschentuch, verband ihr die Augen und gab ihr den Betäubungsschlag. Dann schlug ich ihr den Kopf ab. Sie flatterte in eine Ecke und ich suchte die andere Ecke auf um mich zu übergeben. Meine Mutter rupfte die Gans und nahm sie aus. Am nächsten morgen stapfte ich durch den hohen Schnee um einen Weihnachtsbaum aus dem Wald zu holen.
Am heiligen Abend wollte keine rechte Stimmung aufkommen. Wir saßen am Tisch und kauten lustlos auf der Gans herum, als es plötzlich an der Tür klopfte. Mein Vater kam , über und über mit Schnee bedeckt. Er war, weil der Firmenwagen kaputt gegangen war zu Fuß die 22 Kilometer von der Baustelle nach hause gelaufen. Er nahm uns alle in die Arme und sagte „fröhliche Weihnachten“. Plötzlich schmeckte uns die Weihnachtsgans wieder. Später lobte mich mein Vater, dafür das ich die Gans geschlachtet und einen Weihnachtsbaum geschlagen hatte.
Es fängt an zu regnen. Es wird auch Zeit ins Haus zu gehen. Meine Frau wird jeden Augenblick aufwachen. Der Pflegedienst wird auch gleich kommen. Die halbe Stunde auf der Bank hat mir gut getan. Dort komme ich immer richtig zur Ruhe. Jeder Mensch braucht einen Ruhepol. Meiner ist meine alte Bank am Ende meines Grundstücks.
Beginne jeden Tag mit einem Lächeln, dann hast du es hinter dir.